E-Health

Über die Macht und Ohnmacht von Interoperabilität

Brot, Spiele und Schnittstellen für alle? Warum Interoperabilität mehr Zusammenarbeit statt Polarisierung benötigt.

Im Bereich der Gesundheits-IT gibt es kaum ein Stichwort, das mehr Emotionen schürt als der Begriff „Interoperabilität“. Ein Ausbau von Interoperabilität verspricht, durch die Schaffung von Schnittstellen und standardisierten Datenformaten für einen leichteren Austausch von Informationen zu sorgen. Damit dies gelingt, sind allerdings einige Voraussetzungen zu berücksichtigen.

Die Förderung von mehr interoperabler Vernetzung ist ein zentraler Bestandteil der Digitalgesetzgebung im Gesundheitswesen. Akteurinnen und Akteure jeder Couleur engagieren sich seit Jahren für ihren Ausbau. Die bekanntesten Standardisierungsgremien, HL7 Deutschland e. V. und IHE-Deutschland e. V., riefen beispielsweise den Deutschen Interoperabilitätstag (DIT) ins Leben, um dem Thema ein regelmäßiges, öffentliches Forum zu bieten. Parallel dazu investierten Expertinnen und Experten viel Zeit in Gremienarbeit, um ihre Erfahrungen zu bündeln und Strategien zu entwickeln. Auch die beiden Herstellerverbände bvitg e. V. und Bitkom e. V. legten ausführliche Konzepte vor, wie Interoperabilität und Standardisierung schrittweise zu einer qualitativ höheren Gesundheitsversorgung führen können.

Doch Wunschvorstellung und Forderungen sind schwer miteinander in Einklang zu bringen und sorgen oft für hitzige Diskussionen. Schuld daran ist vor allem die falsche Erwartungshaltung an das „Allheilmittel Interoperabilität“. Die regelmäßig geäußerte Vorstellung, interoperable Systeme stünden per se für eine intuitive, kostenlose und aufwandsarme Austauschbarkeit von Softwaremodulen, die jede Laiin oder jeder Laie mit einem Klick vornehmen könne, greift viel zu kurz. Denn das Thema ist komplex und lässt sich nur mit einer ganzheitlichen Betrachtung diskutieren.

So müssen, erstens, zunächst die technischen, semantischen und syntaktischen Grundlagen der Schnittstelle definiert werden. Eine omnipotente, „offene“ Schnittstelle, die jeder Hersteller in jedes System einbauen kann, existiert nicht. Stattdessen gibt es internationale Standards, auf die sich die Community in intensiven Arbeitsprozessen zunehmend verständigt. Diese Tendenz muss fortgesetzt werden und führt langfristig nachhaltig zu mehr Interoperabilität.

Zweitens ist es mit der bloßen Schaffung von Schnittstellen nicht getan. Diese müssen in den jeweiligen IT-Systemen umgesetzt werden, was je nach Komplexität sehr aufwendig sein kann. Durch den Aufwand werden Ressourcen gebunden, die an anderer Stelle benötigt würden. Es entstehen Kosten, die dann auf die Nutzung der programmierten Schnittstelle umgelegt werden. Für die Kostensenkung ist es daher sinnvoll, internationale Standards von Beginn an mit zu berücksichtigen – idealerweise ab dem Zeitpunkt, an dem an einer neuen technischen Spezifikation gearbeitet wird.

Und schließlich darf, drittens, die Diskussion nicht sachlich entgleisen. Die Forderung nach kostenlosen, „offenen“ Schnittstellen wird der Komplexität von Interoperabilität nicht gerecht und verfehlt das Ziel eines ergebnisorientierten Diskurses. Die Verbindung verschiedener IT-Systeme aus unterschiedlichen Anwendungsbereichen und Sektoren mit variierenden Zielgruppen ist stets mit einem hohen Grad an Aufwand verbunden – von der Entwicklung der Schnittstelle über die Implementierung in den jeweiligen Systemen bis hin zur Anbindung in der Praxis. Für alle Beteiligten entstehen dadurch Kosten, die stets einkalkuliert und ggf. refinanziert werden müssen.

Ein aktuelles Beispiel für eine sektoren- sowie fachgruppenübergreifende TI-Anwendung ist KIM. Der Dienst „Kommunikation im Medizinwesen“ wurde so konzipiert, dass er von allen gängigen Systemen auf dem Markt eingebunden werden kann. Mit interoperablen Schnittstellen wird sichergestellt, dass Datenpakete wie der elektronische Arztbrief oder die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in einem hochsicheren IT-Umfeld ausgetauscht werden. Daher können je nach Anbieter Aufwände für die Einbindung durch Fachpersonal entstehen. Wer diese Kosten scheut, darf sich nicht auf das Fehlen von Schnittstellen und mangelnde Interoperabilität berufen.

Interoperabilität baut auf der intensiven Zusammenarbeit aller Akteurinnen und Akteure auf. Wer sich wirklich für mehr Vernetzung zwischen IT-Systemen im Gesundheitswesen einsetzen möchte, dem sei der diesjährige DIT ans Herz gelegt.