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eRezept – Das Lied von Feuer und Eis

Es ist endlich da! Das eRezept hat Einzug in deutsche Arztpraxen gefunden. Doch bis zur flächendeckenden Nutzung ist es noch ein steiniger Weg. Über aufgebrauchte Frustrationstoleranz, destruktive Schuldzuweisungen und falsche Versprechungen.

Ladies and Gentlemen, we proudly present: das eRezept! Das erste erfolgreich ausgestellte und ebenso erfolgreich abgerechnete elektronische Rezept – für viele in der Branche ein Ereignis, das lange mit Spannung erwartet wurde. Mitte Februar war es bei medatixx soweit: Begleitet von sechs Zeuginnen und Zeugen erfolgte der komplette eRezept-Durchlauf im Praxisbetrieb. Einen ausführlichen Bericht darüber finden Sie im Blog-Beitrag „Das eRezept – Ein Fotobericht aus der Praxis“. Inzwischen ist das eRezept bei den meisten Praxissoftwareanbietern verfügbar. Seit dem Quartalswechsel sollte dem überwiegenden Anteil der Arztpraxen also ein eRezept-Modul in ihrer Praxissoftware zur Verfügung stehen. Auch wenn die Entwicklungsarbeiten an den Basisfunktionen weitestgehend abgeschlossen sind – Feinschliff und Optimierungsvorschläge sind weiterhin willkommen.

Jetzt, wo das Modul in den meisten Arztpraxen verfügbar ist, kann das eRezept nach Belieben getestet und im Versorgungsalltag eingesetzt werden. Bis zum flächendeckend vollständigen Prozess von der Verordnung bis zur Abrechnung ist allerdings noch etwas Geduld gefragt. Schritt für Schritt müssen die Erreichbarkeit aller Apotheken hergestellt und Praxispersonal sowie Patientinnen und Patienten in die neuen Vorgänge eingeführt werden. Aufklärung, Information und Schulung werden die Themen der kommenden Monate sein, um eine breite Akzeptanz in den Arztpraxen zu schaffen.

Das Vertrauen in störungsfreie TI-Anwendungen muss wieder aufgebaut werden

Doch das allein reicht nicht: Vor allem das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit und den Nutzen digitaler Lösungen sowie in die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des vollständigen digitalen Prozesses muss wiederhergestellt werden. Das Beispiel der eAU darf sich nicht wiederholen, als enttäuschte Anwenderinnen und Anwender die eAU-Option wieder deaktiviert haben, weil der Gesamtprozess der Übermittlung des Formulars noch nicht reibungslos lief und für drastische Aufwände in den Arztpraxen sorgte. Wenn über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen der Prozess so schlecht ist, dass alle Nutzerinnen und Nutzer die Funktion wieder abschalten, dann benötigt es einige Zeit, bis Anwenderinnen und Anwender erneut eine Umstellung wagen. Gerade eine so elementare Funktion wie das eRezept kann man nicht einfach aktivieren und abwarten, ob die verordneten Medikamente auch wirklich ihren Weg zur Patientin oder zum Patienten finden, sondern muss vor Einführung der Anwendung einen reibungslosen Prozess sicherstellen.

Die missverständlichen Äußerungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zum „Stopp“ von eAU und eRezept im Interview mit der KBV hat auf Seiten der Nutzerinnen und Nutzer ebenfalls zur Verunsicherung beigetragen. Denn auch ohne gänzlichen Stopp der beiden TI-Anwendungen besteht der dringende Bedarf, die bestehenden Digitalisierungsprojekte auf ihre Versorgungskompatibilität zu überprüfen. Ein Innehalten und Überprüfen der aktuellen Baustellensituation rund um das eRezept und die eAU sind grundsätzlich zu begrüßen. Hier braucht es dringend positive Signale aus dem Bundesgesundheitsministerium!

Positive Signale aus der Politik statt Verunsicherung und Marketing-Aktionismus

Die kommunikativen Maßnahmen seitens der gematik, de facto einer Institution des Bundesgesundheitsministeriums, sind allerdings wenig konstruktiv. "Das eRezept tut nicht weh", sagt die gematik. Und ob es das tut – schließlich ändert sich an vielen Stellen der Arbeitsablauf in den Praxen. Arztpraxen müssen zeitliche und finanzielle Aufwände betreiben, um sich organisatorisch sowie technisch auf das eRezept einzustellen, Personal zu schulen und vor allem Patientinnen und Patienten aufzuklären. In vielen Fällen ist der Einsatz eines Servicetechnikers notwendig, beispielsweise bei der Einrichtung von TI-Aufrufen oder der Druckersteuerung. Eine Marginalisierung des Aufwands ist an dieser Stelle nicht hilfreich. Dazu kommt, dass sich der anvisierte Nutzen erst später im volldigitalen Einsatz zeigen wird. Solange Digitalisierungsvorhaben nur semi-digital starten, entstehen zu Beginn oft Mehraufwände: Beispielsweise ist derzeit bei der eAU nur einer von drei Papierzetteln digitalisiert und auch das eRezept wird zunächst vor allem als Papierausdruck kursieren.

Um die Einführung von eRezept, ePA und Co. zu unterstützen, hat die gematik nun eine "Transparenzoffensive" gestartet. Über eine bunte Skala von eins bis fünf soll in leicht verständlicher Darstellung der TI-Reifegrad von Softwarehäusern aufgezeigt werden. Dazu können Hersteller auf freiwilliger Basis zu fünf Punkten Angaben machen, beginnend mit einer erfolgreichen KBV-Zertifizierung bis hin zur abgeschlossenen Auslieferung des eRezept-Moduls. Doch was sagt der "TI-Score" eigentlich aus? Eine Übersicht über die erfolgte Zertifizierung beispielsweise findet sich bereits auf der KBV-Seite. Die KBV-Zertifizierung bestätigt allerdings nur die korrekte Umsetzung eines Softwaremoduls gemäß technischer Spezifikationen. Die erfolgreiche Zertifizierung ist somit zwar ein wichtiger Schritt bei der Zulassung von Software, kann aber natürlich nicht die Funktionsfähigkeit des gesamten Prozesses garantieren – genauso wenig wie der "TI-Score" der gematik. Ein gutes Beispiel ist hier die ePA: Seit Monaten sind Praxen technisch in der Lage, die ePA im Patientenkontakt einzusetzen. Die Nachfrage stagniert jedoch seit Langem, die Nutzerzahlen sind überschaubar und die ePA ist somit zur Orchideenanwendung verkommen. Inwiefern der gematik-"TI-Score" diesen Status ändern kann und über die Abbildung von Redundanzen hinausgeht, ist mehr als fraglich. Die "Transparenzoffensive" der gematik bleibt im aktuellen Stand jedenfalls als Placebo hinter ihrem Potenzial zurück.

Konstruktiver Dialog auf Augenhöhe

In der aktuellen Gemengelage rund um das eRezept helfen die derzeitigen Schuldzuweisungen und Vergleiche nicht weiter. Stattdessen müssen alle Akteurinnen und Akteure Digitalisierung als einen komplexen Vorgang akzeptieren, der auf die Zusammenarbeit aller angewiesen ist. Dafür benötigen wir dringend einen realistischen Fahrplan für die nächsten Stufen bei der eRezept-Einführung, eine zielorientierte Kommunikation aller Beteiligten auf Augenhöhe und weiterhin ausgiebige Praxistests. Ich bin optimistisch, dass es so gelingen wird, das eRezept in den nächsten Wochen und Monaten in der Gesundheitsversorgung zu etablieren.