Alle Jahre wieder erhebt das IGES-Institut für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) das PraxisBarometer Digitalisierung. Die Umfrage soll Aufschluss zum Stand und zu Perspektiven der Digitalisierung in der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung geben. In der vierten Umfrage waren über 2.800 Praxen beteiligt. Die Ergebnisse im Jahr 2021 zeigen eine deutliche Beeinflussung vor allem durch zwei Faktoren:
Erstens haben die gesetzlichen Rahmenbedingungen die Digitalisierung in Praxen stark geprägt. So führte das Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) zur verpflichtenden Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und das Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) zum Auf- und Ausbau digitaler Übermittlungsverfahren und Kommunikationsstrukturen, beispielsweise durch den Dienst Kommunikation im Medizinwesen (KIM). Via KIM wird zum Beispiel die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) auf sicherem digitalem Wege von Praxen an Krankenkassen und zukünftig von dort auch an den jeweiligen Arbeitgeber übermittelt.
Zweitens verhalf die COVID-19-Pandemie der Telemedizin zu großem Aufschwung. In Zeiten, in denen die Kontaktbeschränkung als das beste Mittel zur Eindämmung des Infektionsgeschehens gilt, überzeugen die Vorteile der Videosprechstunde. Der Schutz von Praxispersonal sowie Patientinnen und Patienten bleibt der Studie zufolge der Hauptgrund für das telemedizinische Angebot. Zugleich zeigt sich, dass die Videosprechstunde gerne für spezielle Patientenkontakte genutzt wird. Zwei Drittel der Praxen sehen Vorteile einer Videosprechstunde gegenüber einem Telefonat und ca. 70 % der Praxen (bzw. 83 % der spezialisierten Facharztpraxen) halten sie für ein probates Mittel bei langfristig betreuten chronisch kranken Patienten. Die Nutzung der Videosprechstunde ist allerdings stark von der Patientennachfrage abhängig.
Mit zunehmenden digitalen Anwendungen im Rahmen der Telematikinfrastruktur (TI) stieg laut Umfrage auch die Fehlerhäufigkeit. So berichtet knapp die Hälfte der Praxen, dass mindestens einmal wöchentlich ein TI-Fehler auftritt. Etwa die gleiche Anzahl an Praxen engagiert für die IT-Administration einen Dienstleister vor Ort. Hinsichtlich Fachkompetenz, Erreichbarkeit und Schnelligkeit der Problemlösungen ist die überwiegende Mehrheit der Praxen mit ihren IT-Dienstleistern vor Ort sehr oder eher zufrieden.
Im Vergleich zum positiven Aufwärtstrend der letzten Jahre fällt die Erwartungshaltung von Praxen an die Digitalisierung gedämpft aus: Große Ernüchterung und unerfüllte Erwartungen führen bei Praxen dazu, dass der Einfluss des Digitalisierungsfortschritts weniger positiv eingeschätzt wird. Zu den am häufigsten genannten Digitalisierungshemmnissen gehören ein hoher Umstellungsaufwand, ungünstige Kosten-Nutzen-Verhältnisse sowie eine hohe Fehleranfälligkeit und mangelnde Nutzerfreundlichkeit digitaler Anwendungen.
An den abgeleiteten Forderungen von 2020 hat sich 2021 wenig geändert: So müssen echte Mehrwerte der Digitalisierung in den Praxen und bei Patientinnen und Patienten ankommen. Die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) fordert hierzu einen „Kulturwandel – weg vom bisherigen Top-Down-Ansatz“.
Zudem ist das Thema IT-Sicherheit weiterhin ein wichtiger Punkt bei der Digitalisierung, deren ideelle und finanzielle Förderung analog zu den im Klinikumfeld angeschobenen Maßnahmen nun auch im niedergelassenen Bereich angestrebt werden sollte.
Schließlich müssen digitale Anwendungen ausgiebig getestet und auf die Testergebnisse im Dialog mit allen Beteiligten reagiert werden, bevor sie in der Versorgung implementiert werden. „Gute Digitalisierung braucht Zeit“, schreibt die KBV – die neue Regierung sollte sich diese nehmen und den Digitalisierungs-Kahn im Gesundheitswesen wieder auf Kurs bringen.